Der Zorn der Kommissarin - Kriminalroman by emons Verlag

Der Zorn der Kommissarin - Kriminalroman by emons Verlag

Autor:emons Verlag [Verlag, emons]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 55555
veröffentlicht: 2014-07-19T04:00:00+00:00


22

Sie hatte jedes Zeitgefühl verloren. Das, was nicht sein sollte, schien keinen Anfang mehr zu haben und kein Ende. Aber Verena wusste, dass sie diese hoffnungslose Ewigkeit durchbrechen musste. Nur sie konnte dieser Sache, deren Anfang sie vergessen hatte, ein Ende bereiten.

Sie saß im Flur auf dem Boden vor dem kaputten Spiegel. Seit er kaputt war, zeigte er mehr Wahrheit als vorher. Er zeigte eine Verena, die aus langen, unregelmäßigen Dreiecken bestand, Teilen, die zusammenhingen, aber nicht zusammenpassten. Sie musste sich auf die Mitte konzentrieren. Dort lief alles zusammen, alles traf sich an einem Punkt, blind und dunkel, im Herzstück der Zerstörung.

Sie erinnerte sich an den Moment, in dem sie es für eine gute Idee gehalten hatte, wieder Wodka zu trinken. Kein Wodka, keine Tabletten, hatte die Frau gesagt, die mit den ungepflegten Fingernägeln. Diese Frau von der Polizei, die ihre Arbeit nicht machte und die nichts verstand. Vielleicht hatte er sie gekauft. Sie durfte nicht vergessen, wozu Morowski in der Lage war. Es war dumm, anzunehmen, dass diese Frau oder Brodtmann auf ihrer Seite waren. Sie logen. So wie Orth, vermutlich log auch der. So wie sie selbst. Kleine Lügen, große Lügen, die in der Mitte, überall Lügen, etwas essen, etwas schlafen, kein Wodka und keine Tabletten.

Es war nicht so einfach mit der Wahrheit.

Im Krankenhaus zum Beispiel, als sie sich etwas ruhiger gefühlt hatte, etwas besser, hatte sie lügen müssen. Obwohl sie gerne dageblieben wäre. Der Arzt war nett und auch die Krankenschwestern. Aber sie konnte nicht bleiben. Sie durfte nicht. Sie hatte dem Arzt erklärt, dass Eugen tot war. Der Arzt hatte das verstanden. Auch, dass es sehr schwer war für sie. Sie hatte gesagt, dass sie ihre Mutter anrufen würde, das war keine Lüge. Ihre Mutter holte sie ab, das war keine Lüge. Und doch war es eine Lüge, weil sie genau gewusst hatte, dass der Arzt das falsch verstand. Er hörte, was er hören wollte. Er hörte »Mutter« und »abholen« und war froh, die Verantwortung abgeben zu können. Er ließ sie gehen mit ihrer Mutter. Die es richtig verstand. Die pflichtschuldig fragte, ob sie bleiben solle, und wegfuhr, als Verena das verneinte.

Das war gut so. Verena liebte ihre Mutter. Aber sie waren sich fremd geworden. Ihre Mutter hatte sie gehen lassen, weg von der winzigen Wohnung in dem grauenhaften Haus. Ihre Mutter hatte verstanden, dass sie all das hinter sich lassen musste. Viel besser als Eugen, der am Anfang noch davon sprach, dass sie zu ihnen ziehen musste, das Haus war doch groß genug. Er hatte eine Weile gebraucht, um zu verstehen, dass sie nicht in diese Welt passte. Sie war fremd, immer starr vor Angst, etwas Falsches zu sagen, etwas Falsches zu tun. Sie war wie ein Gespenst, wenn sie hier war, in der Ecke hockte, Unbehagen verbreitete.

Verena liebte ihre Mutter, die verstand, wann kein Platz für sie war. So wie jetzt. Gerade jetzt. Verena liebte ihre Mutter dafür, dass sie wegfuhr, sie allein ließ, wenn sie allein sein wollte.

Sie musste ihre Gedanken in Ordnung bringen.



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